Am Tag der Wintersonnenwende, dem 21. Dezember, durchleben wir jedes Jahr die längste Nacht des Jahres, die tiefste Dunkelheit. Danach gewinnt das Licht an Raum, jeden Tag ein bisschen mehr. Dieser Übergang wurde in vielen Kulturen gefeiert: Im Römischen Reich ehrte man mit den Saturnalien den Gott Saturn, in Skandinavien wurde das Julfest gefeiert und auch die Kelten auf den britischen Inseln sehnten diesen Tag herbei und begangen ihn festlich. Das bezeugt unter anderem die Grabanlage Newgrange, die ca. 3150 v. C. so gebaut worden ist, dass an den 13 Tagen um die Wintersonnenwende bei Sonnenaufgang für ungefähr15 Minuten ein Lichtstrahl durch eine Öffnung über dem Eingang direkt in die Grabkammer fällt. Die Geburt des Lichts mitten in der Dunkelheit des Winters fasziniert und dies war es wohl auch, was die Römer veranlasste, den 25. Dezember als Geburtstag des römischen Sonnengottes Mithras zu begehen. Erst als das Christentum im 4. Jahrhundert zur Staatsreligion des Römischen Reiches avancierte, feierte und feiert man an diesem Tag Weihnachten, die Geburt Jesu, dessen, der sagt: „Ich bin das Licht der Welt.“
Das Werden, Sehnen und Warten von der Dunkelheit ins Licht bildet sich auch in unseren Adventbräuchen ab. Adventskalender und insbesondere auch der Adventskranz sollen die Zeit verkürzen, sollen zum Fest hinführen. Während sich grüne Zweige bereits in heidnischen Zeiten als Symbol der Hoffnung in den Häusern fanden, ist der Adventskranz eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Der Theologe Johann Hinrich Wichern bastelte im Hamburger „Rauhen Haus“ 1839 eine Art Adventkalender, um seinen Heimkindern das Warten auf Weihnachten zu erleichtern. Für jeden Tag vom ersten Adventsonntag bis hin zum Christfest findet sich dafür eine Kerze auf einem Wagenrad. Das schmückende Grün kam erst später hinzu. Noch heute wird im Hamburger Rauhen Haus der traditionelle Wichern-Kranz mit - je nach Jahr - bis zu 28 Kerzen entzündet.
Dieses Warten in Stille und Dunkelheit geht heute im Lichtertsunami, der bereits ab Ende Oktober als hell erstrahlende Weihnachtsdekoration über uns hereinbricht, mehr und mehr verloren. Das hat auch Hanspeter Sutterlüty angemerkt, als er sich an die Advents- und Weihnachtszeit seiner Kindheit erinnerte. Bei ihnen zuhause wurde auf sämtlichen sinnlichen Ebenen sehr genau zwischen Advents- und Weihnachtszeit unterschieden: Die Adventslieder wurden im Advent, beispielsweise wenn die Marienstatue von Haus zu Haus weitergegeben wurde, die Weihnachtslieder erst an Weihnachten gesungen. Die Adventsdekoration war Tannengrün und Tannenzapfen, die Weihnachtsdekoration Lichterglanz und Glitzer und der Christbaum wurde erst am 24. Dezember aufgestellt. Im Advent gab es Birnenbrot und in ihrer Familie erst ab dem Klosotag Mandarinen. Vorher wurde auf Mandarinen im Rahmen der adventlichen Fastenzeit verzichtet. Die Weihnachtskekse, gezaubert und behütet von der Mama, dufteten bereits in den letzten Adventtagen verheißungsvoll durchs Haus, durften aber wirklich erst an Weihnachten verzehrt werden. Ausnahmen durch Lausbubenhand bestätigten die Regel.
Agathe Peinlich berichtet in ihren Erinnerungen ebenfalls von diesem sehnsuchtsvollen Warten auf das Christkind und meint, dass in der heutigen Zeit, in der immer alle alles gleich wollen auch das Wünschen und Erwarten können, verloren gehe. Als sie Kind gewesen sei, habe man nicht viel gehabt. Die Advents- und Weihnachtszeit habe sich durch den täglichen Gang in die Rorate und durch die Vorfreude ausgezeichnet. Der Nikolaus kam nicht ins Haus, aber er brachte über Nacht, ein paar Nüsse, Mandarinen „gedörrte Öpfelschnitz“. Bei ihnen zuhause hatten sie eine Bäckerei und ihr Vater habe für „Klosotag“ „Beorobrot“ gebacken, dieses habe man auf dem „Klosomärtle“ verkauft und bei manchen ärmeren Familien habe man es bis Weihnachten aufgehoben, um dann etwas Gutes zu haben. Das Christkindle brachte ein „Schößle“, ein „Röckle“, ev. ein paar Handschuhe und zum Essen habe es Bratwürste und Sauerkraut gegeben, ganz selten einmal Wurstaufschnitt, aber das wäre dann wirklich das höchste der Gefühle gewesen. Agath erinnert sich zudem daran, dass die Nachbarinnen samt Teig in ihre Backstube gekommen seien, um dort gemeinsam Kekse zu backen. Es gab eine große Truhe mit viel Platz zum Auswahlen und Ausstechen und den großen Backofen. Das muss auch himmlisch geduftet haben.
Eine weitere fast 90jährige Eggerin berichtet, dass in ihrer Familie für den Nikolaus Teller aufgestellt worden seien und man am nächsten Morgen schnell aufgestanden sei und gehofft habe, dass der „gute Mann“ Äpfel, Feigen, Nüsse oder gar eine Orange draufgelegt habe. Das goldige Orangenpapier hätten sie dann in das Nachtkästchen gelegt und noch lange, lange daran gerochen. Dem Nikolaus selbst habe man ein Gläschen Wein und ein paar Kekse hingestellt. Die Freude sei riesig gewesen, wenn Teller und Glas leer gewesen seien. Als sie selbst schon Kinder gehabt hat, erzählt Agath, sei sie, wie vermutlich die meisten Egger Eltern, beim Klosomart in die Spielwarenausstellung im Ochsen gegangen, um den Kleinen den ein oder anderen Herzenswunsch zu erfüllen. Agath meinte, früher sei man zwar arm gewesen, aber das Leben schön. Dekoriert habe man aus Mangel an finanziellen Mitteln nicht so sehr. Der Christbaum selbst soll der Legende nach übrigens aus Freiburg stammen. Dort habe ein Bäcker 1419 einen Nadelbaum mit Äpfeln und Lebkuchen geschmückt und so den Weihnachtsbaum erfunden.
Das Aufstellen der Krippen geht hingegen weiter zurück. Im Mittelalter wurde Weihnachten nämlich nicht privat, sondern öffentlich gefeiert: Weihnachtsmärkte, Festumzüge und Krippenspiele fanden auf den Straßen und in der Kirche statt. Das Feiern in den Familien mit Weihnachtsbaum, Weihnachtsliedern, Krippe, Geschenken und Gottesdienstbesuch entstand erst im 19. Jahrhundert.
Apropo Krippe, bei mir zuhause gab es folgenden Brauch. Wenn ich als Kind im Advent besonders brav war oder auf etwas verzichtete, durfte ich mir eine Tannennadel vom Adventskranz nehmen und in einer Zündholzschachtel sammeln. Auf diese wurde dann am 24. das Jesuskind gelegt. Je braver ich war, desto weicher konnte ich das Kind betten.
Advent und Weihnachten mit Kindern ist sowieso etwas ganz Besonderes und es gibt heute sehr viele schöne Bräuche wie Adventfenster, Adventsingen, gemeinsame Adventkalender mit sehr viel mehr als Schokolade, Rorate, Krippenspiele usw., mit denen man sich auf das Fest einstimmen kann. Aber vielleicht ist auch gerade für uns heute ein bisschen weniger letzten Endes ein bisschen mehr. Und vielleicht ist es auch gut, wenn es ein bisschen dunkel sein darf, bevor uns der Lichterglanz erfreut.
Christine Felder-Lang