Hans Rapp
Wir sitzen gemeinsam im Wohnzimmer eines Mehrfamilienhauses in Göfis. Durch das Fenster scheint die Maisonne herein. Das Zimmer ist einfach eingerichtet. Einzig eine arabische Kalligraphie fällt auf. Die Einrichtung passt zu Hubert Galehr, der ein unauffälliges grünes T-Shirt trägt. Mit am Tisch sitzt Gudrun Winkler aus Frastanz. Beide sind Bahá’í - Mitglieder jener Religionsgemeinschaft, die diesen Mai ihr 50-jähriges Bestehen in Vorarlberg feiert.
Vor genau 50 Jahren lernte der heute 83-Jährige bei einem Popkonzert auf dem Migrosparkplatz in Buchs die Bahá’í kennen. Eine Gruppe aus der Schweiz und aus Liechtenstein stellte sich in der Konzertpause auf der Bühne vor und lud im Anschluss an das Konzert zum Gespräch ein. Galehr wurde neugierig und ging hin. Und er blieb. Nach dem Konzert fuhren sie alle in seinem alten Saab ins Appenzell. Dort lebten einige Bahá’í-Familien, die ihm mehr über den Glauben der Bahá’í erzählen konnten.
„Die Liebe zu Báb und zu Bahá’u’lláh, dem Vorläufer und dem Stifter der Bahá’í-Religion steht im Mittelpunkt der Bahá’í-Spiritualität“, betont Galehr. Diese hatten in der Mitte des 19. Jahrhunderts zuerst im Iran und dann im osmanischen Reich ihre reformbetonten Lehren verbreitet. In Bahá’u’lláh hat der einzige Gott nach dem Glauben der Bahá’í einen neuen Bund mit der Menschheit für die jetzige Zeit geschlossen. Er ist für Galehr und Winkler vergleichbar mit Jesus Christus im Christentum oder mit Muhammad im Islam. Gott ist ewig, aber die Menschen entwickeln sich weiter. Deshalb wird ihre Offenbarung nicht die letzte sein. Irgendwann in der Zukunft - die Bahá’í-Schriften rechnen mit mindestens 1000 Jahren - wird es eine neue Offenbarung durch einen neuen Offenbarer geben.
1978 besuchte Galehr das geistige Zentrum der Bahá’í in Haifa. Als prägendste Erinnerung ist ihm bei seiner Reise dorthin die Begegnung mit anderen Bahá’í-Gläubigen aus der ganzen Welt geblieben. Besonderen Eindruck machte auf ihn ein Amerikaner mit afrikanischen und indianischen Wurzeln. Dieser Mensch stellte für ihn die Einheit und Gleichwertigkeit aller Menschen dar. „Das Prinzip der Einheit und der Gleichwertigkeit ist für die Bahá’í zentral“, bemerkt Gudrun Winkler. Bahá’u’lláh sagt: „Alle Menschen sind wie die Tropfen eines Meeres.“
Eine friedliche Welt - das ist das Ziel, das der Gründer Bahá’u’lláh seinen Gläubigen vorgibt. Die Bahá’í sind aufgerufen, einen Beitrag zum Wohl der Menschheit zu leisten. (Partei-)Politisch sollen sich Bahá’í allerdings nicht engagieren, da das ja bedeuten würde, sich gegen andere zu stellen und damit gegen die Einheit der Menschen zu arbeiten. In der Gemeinschaft und in ihrem gesellschaftlichen Leben praktizieren sie die Gleichwertigkeit konsequent. „Wenn man will, ist das auch politisch, aber eben eine göttlich inspirierte Politik“, merkt Winkler an.
Im Bahá’í-Glauben gibt es wenig Rituale. Die Bahá’í verrichten ein tägliches Pflichtgebet, das sie aber allein sprechen. Das Jahr ist in 19 Monate zu 19 Tagen eingeteilt. Der jeweils erste Tag dieser Monate ist ein Festtag. An diesem Tag versammeln sich Bahá’í - in größeren Gemeinden bis zu zehn oder zwanzig an der Zahl - in Privaträumen. Die Feier beginnt mit einer gemeinsamen Andacht, danach beraten die Mitglieder über Gemeindeangelegenheiten und anschließend folgt der inoffizielle Teil. Die Frage, wie man eine und einen Bahá’í im Alltag erkennt, löst bei meinem Gegenüber ein Lächeln aus.
„Jedem Menschen, dem man begegnet, muss man mit größter Achtung und mit Respekt begegnen“, erklärt Galehr. „Wenn ein Bahá’í in eine Stadt kommt, soll man merken, dass er Bahá’í ist.“ Das hatte der Sohn des Gründers, Abdu‘l-Bahá, formuliert und das gilt noch heute.
Mehr zu den Bahá‘í: Alex A. Käfer, Die Geschichte der österreichischen Bahá’í-Gemeinde, 2020. Jenbach: Esslemont Verlag, 2. Auflage; Nationaler Geistiger Rat d. Bahá‘í in Österreich.