Die positive Nachricht: der Stammtisch wurde aufgezeichnet. Das ist auch gut so, denn so manches, was Gerald Hüther in seinem Vortrag „Wenn die Angst dominiert! Über die Angst in der Corona-Krise und wie wir das Vertrauen in uns selbst und die Gesellschaft stärken können“ erzählt hat, muss man sich vielleicht zwei Mal durch den Kopf gehen lassen.
Das Thema Angst sei ihm aufgefallen als die „Corona-Problematik“ begonnen habe, erinnert sich Hüther. Und meint damit nicht die Angst vor dem Virus, sondern die Angst, die durch die Vorstellung der von ihm ausgehenden Gefahr ausgelöst wurde. Angst erwachse in den meisten Fällen aus der Überlegung, was "alles" geschehen könnte, erklärt der Neurobiologe. Man könne sie entweder in sich selbst verstärken oder auch kleinreden, man sei aber hilflos, wenn jemand anders erzähle, wie groß die Bedrohung sei. Dann könne es passieren, dass man alleine mit FFP2-Maske im Wald herumlaufe, berichtet Hüther von Begegnungen mit verängstigten Menschen.
Da stellt sich doch die Frage, wie es gelingen kann sich so zu stärken, dass man nicht so schnell in Angst gerät. Was beim Körper ein gutes Immunsystem ist, nennt Hüther bei der Psyche das Fundament, das einiges aushält und auf dem man (wenn es dick genug ist) stehen kann: Das Vertrauen. Gleich einem dreibeinigen Hocker bestehen die Vertrauensressourcen aus dem Vertrauen in die eigene Kompetenz, dem Vertrauen in andere und dem Vertrauen, dass es wieder gut wird (auch Ur- oder Gottvertrauen genannt). Die Hockerbeine sind aber leider dünn geworden, und deshalb geraten wir schnell in Panik, ortet Hüther ein Problem.
Da wäre zunächst das Vertrauen in die eigene Kompetenz, mit der man schon Schwieriges gelöst hat. Blöd nur, dass unsere Gesellschaft dazu neige, "unsere Kinder so zu begleiten, dass wir ihnen alle Schwierigkeiten aus den Weg räumen", meint Hüther. Besser wäre es, seinen Kindern möglichst viele kleine Steine in den Weg zu legen, denn nur so lernen sie Probleme zu lösen. Ähnlich sieht es mit dem Vertrauen in Freunde, Verwandte oder Bekannte aus. Zu Beginn der Pandemie habe man sich noch gegenseitig unterstützt, nun nehmen die Ellenbogen und das Konkurrenzdenken langsam wieder oberhand, bedauert Hüther die Entwicklung, die viele soziale Beziehungen zerstört und die er vor allem in Großstädten ortet.
Und last but not least das Vertrauen, dass es wieder gut wird. Man könnte es auch Gottvertrauen nennen. Nur dass in unserer säkularen Welt das Vertrauen, dass es etwas gibt, dass uns hält und beschützt eher zerbrochen ist.
Unter Panik komme es im Hirn zu einem Durcheinander, erklärt der Neurobiologe. Man verliere sprichwörtlich „den Kopf“. Statt klar zu denken, verfalle man in Kindheitsmuster (z. B. Rumbrüllen oder mit Türen knallen) und lande schließlich im Notfallprogramm, in dem sich unser Hirnstamm eigentlich nicht mehr wesentlich von jenem des Krokodils unterscheide. Als Reaktion bedeutet das: Ankreischen, flüchten, erstarren und totstellen.
„Man muss aus dem Kopf raus, muss sich wieder mit sich selbst und seiner inneren Kraft verbinden“, spricht sich der Autor dafür aus, liebevoller mit sich selbst umzugehen. Erst dann können wir nämlich stark sein und auch mit anderen liebevoll(er) umgehen. Kurz: Tun Sie nichts, was Ihnen nicht guttut. Nur der Zugang zu den eigenen lebendigen Bedürfnissen gebe einem das Gefühl lebendig zu sein. Sein Tipp: Stillen Sie Ihre Bedürfnisse, die Sie vielleicht schon lange unterdrücken: Kümmern Sie sich um Dinge und Menschen, die Ihnen wichtig sind oder finden Ihre alte Entdeckerfreude wieder. Man könne an den derzeitigen Gegebenheiten wenig ändern, aber man könne „sich auch im Boden verankern und dann lässt man sich auch nicht mehr so schnell von anderen Angst einjagen, weil man weiß was man Wert ist“, ist sich Hüther sicher, dass so eine andere Form von Miteinander entsteht.
Ein großes Miteinander war auch der Stammtisch, der Corona "sei Dank", Menschen aus Berlin, den Ruhrpott, Bürs und dem Bregenzerwald online vereinte. Und genauso vielfältig waren die Fragen, die per Chat eintrudelten: "Wie kann man mit den massiven Ängsten von Angehörigen umgehen?", "Wie können wir Kinder in Coronazeiten gut unterstützen?" oder "Braucht es vielleicht ein stückweit auch Angst, damit wir uns an die Vorgaben halten" beispielsweise.
Welche Rolle Volksmärchen da spielen, warum man unbedingt mal (gesund) eine Palliativstation besuchen sollte und welche Rolle Spickzettel in Gerald Hüthers Kindheit spielten, dass er heute so ist, wie er ist ... können Sie im Video nachsehen. Es lohnt sich auf jeden Fall!