Nächstenliebe als Grundauftrag
Auch für die ersten Christen war die Erfahrung des „Fremdseins“ grundlegend. Die Exilserfahrung schlägt sich nach der Volkswerdung auch in Gesetzestexten nieder. Im Alten Testament gilt drei sozial verwundbaren Gruppen besondere Aufmerksamkeit: Den Witwen, den Waisen, den Fremden. Zu letzteren heißt es im Buch Exodus: „Einen Fremden sollst du nicht ausbeuten. Ihr wisst doch, wie es einem Fremden zumute ist; denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen.“ (Ex 23,9). Und das Buch Leviticus fordert: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.“ (Lev 19,33-34)
Neues Testament und junge Kirche
In den Evangelien wendet sich Jesus immer wieder den Menschen an den Rändern, den Ausgestoßenen zu. Auch den Fremden. Bekannt ist das Gleichnis vom guten Samariter (Lukas 10). Oder eines der Werke der Barmherzigkeit in Jesu Rede vom Weltgericht: „…ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen.“ (Matthäus 25,35)
Nach Jesu Tod und Auferstehung lebten die ersten Christen in der „Naherwartung“ einer baldigen Wiederkunft des Herrn. Sie hofften auf die „himmlische Heimat“, und so kommt der Begriff des „Fremdseins“ in den frühen Schriften immer wieder vor. Die Jünger/innen Jesu waren zwar in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt. Im Brief des Klemens an die Korinther heißt es etwa: „Die Kirche Gottes, die in der Fremde in Rom lebt, an die Kirche Gottes, die in der Fremde in Korinth lebt.“ Paulus wiederum schreibt: „Wir sind also immer zuversichtlich, auch wenn wir wissen, dass wir fern vom Herrn in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zu Hause sind.“ (2 Kor 5,6) Das Wissen um die Verstreutheit bildet auch den Auftakt des ersten Petrusbriefes: „Petrus, Apostel Jesu Christi, an die Auserwählten, die als Fremde in Pontus, Galatien, Kappadozien, der Provinz Asien und Bithynien in der Zerstreuung leben …“ (1 Petr 1,1).
Der Diognetbrief beschreibt im 2. Jh. die Christen folgendermaßen: „Sie leben zwar an ihrem jeweiligen Heimatort, doch wie Fremde. Sie beteiligen sich als Mitbürger an allem, doch ertragen sie es nur wie Durchreisende. Jede Fremde ist ihre Heimat, und jede Heimat ist ihnen fremd.“