Es macht einen Unterschied, ob man „etwas tut“oder nicht. „Ich habe gelernt, dass es sich lohnt, aufs Spielfeld zu gehen“, erzählt Doraja Eberle bei einem ihrer öffentlichen Auftritte, zu denen sie als Referentin heute gerne eingeladen wird. Verständlich, sie hat ja auch etwas zu sagen. Und was sie zu erzählen hat zeigt, wie sehr sie einen Unterschied gemacht hat: für Menschen in Kroatien, in Bosnien, in Srebrenica – aber auch in Salzburg oder Wien.
Ein Fernsehabend kurz vor Weihnachten
1261 Häuser hat ihr Verein „Bauern helfen Bauern“ im ehemaligen Kriegsgebiet am Balkan gebaut. Die ersten 40 hat sie eigenhändig – nahe der Front – errichtet. „Wie wir mit den Häusern über die Grenze gekommen sind, ohne Zollpapiere und alles - ich weiß es nicht mehr.“ Ihr Mann half mit. Über 40 Jahre sind sie mittlerweile verheiratet – „und ich würde ihn sofort wieder heiraten.“
Über 11.000 Menschen hat ihr Verein geholfen und über 2000 LKW-Ladungen haben ihr Ziel im ehemaligen Kriegsgebiet erreicht. Warum? Verkürzt gesagt: Weil Doraja eines abends kurz vor Weihnachten 1992 den Fernseher eingeschaltet hatte, die Nachrichten vom Krieg am Balkan gesehen hat und wusste: „Ich muss etwas tun.“
"Ich stand auf und fuhr los Richtung Front"
„Man kann das jetzt Bauchgefühl, Schicksal, Fügung oder innere Stimme nennen. Als mein Mann ins Zimmer kam, fragte ich ihn, ob ich fahren soll und er sagte:,Ja, fahr.‘“ Ihre Mutter habe das ein bisschen anders gesehen.
A propos Mutter, Doraja Eberle selbst wuchs als drittes von insgesamt zehn Kindern als Teil einer Großfamilie auf. Es war eine Familie, in der sie sich geborgen fühlen konnte. Mitmenschlichkeit, Familiensinn und Gottvertrauen gehörten zum Familienalltag dazu. Gleichgültigkeit gegenüber dem Gemeinwohl wurde nicht akzeptiert. Solidarität war nicht nur ein Wort.
Und aus dieser Geborgenheit heraus stand Doraja Eberle also auf und fuhr an die Front. Ihre zwei kleinen Kinder wusste sie bei ihrem Mann, bei ihrer Familie gut aufgehoben.
Das Ziel war klar, der Weg dorthin längst nicht
So sei es übrigens noch öfter gewesen in ihrem Leben, dass sie zwar wusste, dass sie etwas tun müsse. Dass sie aber teilweise einfach auch keine Ahnung gehabt habe, wie sie ihr Ziel erreichen sollte. Aber man müsse eben etwas tun, damit sich etwas tue.
Das hat Doraja Eberle sehr beherzigt. Als junge Frau ging sie an die Sozialakademie in Wien. Als Sozialarbeiterin arbeitete sie 17 Jahre lang mit Jugendlichen zwischen Drogensucht und Prostitution. „Das war schwer für mich, aber ich bin mit diesen Jugendlichen bis heute mitgewachsen. Und es war sicher eine der schönsten Zeiten in meinem Leben.“
Ein kleines Kind
Nach 12 Fehlgeburten entschieden sich Doraja und ihr Mann Alexander dafür, „in die Mission zu gehen.“ Nein, über Adoption hätten sie nicht nachgedacht und ja, natürlich sei es schwer gewesen Teil einer Großfamilie und selbst kinderlos zu sein. Ihre Mission führte Doraja und Alexander Eberle u. a. also in die Mitarbeit am Familienkongress, der 1988 in Wien stattfand. Referentin war Mutter Teresa. Als Doraja Eberle nach Ende des Kongressprogramms ihr Büro aufräumte, ging die Tür auf und jemand fragte sie, ob sie Doraja Eberle sei und ob ihr Mann Alexander Eberle sei? Sie bejahte und darauf folgte nur die Information, dass Mutter Teresa sie am nächsten Morgen um 6 Uhr sehen wolle.
Kurz und gut, kaum ein halbes Jahr später flogen Doraja und Alexander Eberle nach Indien, trafen Mutter Teresa erneut. „Als sie sich umdrehte, hatte sie in den Armen ein kleines Kind. Das war unsere Tochter.“ Ein Jahr später kam so ihr Sohn zu ihnen. „Ich sehe nicht, dass meine Kinder eine andere Hautfarbe haben. Aber ich sehe den Rassismus, mit denen sie und wir jeden Tag konfrontiert sind.“ Auch eine traurige Wahrheit. Ja, und diese beiden Kinder hielt Doraja Eberle im Arm, als sie an diesem Abend, kurz vor Weihnachten 1992 die Nachrichten vom Krieg im Fernsehen sah.
„Ich bin also einfach losgehfahren. Das würde ich heute nie wieder tun. Ich bin ins Auto und bin losgefahren Richtung Front, von der ich nur wusste, dass sie irgendwo in Richtung Zagreb sein musste“, hört Doraja Eberle nicht auf, ihre Geschichte, die einen Unterschied macht, zu erzählen – zum Glück, muss man hinzufügen.
Wie kann dieser Mann so fröhlich sein?
An einer Tankstelle habe sie ein Priester angesprochen, der das österreichische Kennzeichen bemerkt hatte. Dass sie aus Salzburg käme und an die Front wolle, erzählte sie ihm. Ob sie denn wisse, was sie da tue, und sie solle diese Nacht im Kloster übernachten, entgegnete er ihr. Noch am selben Abend begleitete Doraja Eberle Pater Alois in ein nahegelegenes Lazarett. „Da war ein junger Mann. Er hatte keine Arme und keine Beine mehr. Neben ihm war seine junge Frau und sein Kind. Pater Alois setzte sich zu dem Mann – und sie waren fröhlich, sie lachten und scherzten. Ich habe Pater Alois danach gefragt, warum sie denn so fröhlich gewesen seien und er erzählte mir, dass die Frau des Mannes ihn angerufen habe, um mit ihnen Gott zu danken, dass ihr Mann lebt.“
In diesem Moment habe sie, Doraja Eberle, für sich ein Gelübde abgeschlossen: „Wenn dieser Mann, der seine Frau nicht mehr umarmen kann, der sein Kind nicht halten kann, der nicht selbst essen oder sich waschen kann, wenn dieser Mann so fröhlich sein kann, dann kann ich mein Leben – mit meinen zwei Händen und meinen zwei Beinen und meinem Hirn und meinem Herzen in den Dienst an den Nächsten stellen,“
Wie aus einer Wette "Bauern helfen Bauern" entstand
Der nächste Tag brachte Doraja Eberle an die Front und was sie dort gesehen habe, das könne sie niemandem erzählen. Da waren Menschen, wenige Stunden von Österreich entfernt, die erfroren, die verhungerten, die starben und die sagten: „Wir wollen zu Hause bleiben.“.
„Ich kam zurück, ich schaltete den Fernseher ein und es lief ,Wetten dass‘ mit Thomas Gottschalk. Eine Wette war, dass es 100 Männer in 100 Stunden schaffen sollten, 100 Holzhäuser zu bauen. Ich habe sofort beim Fernsehen angerufen und erfragt, dass auch einer dieser 100 Männer in der Nähe von Salzburg wohnte – das war Hans Fritz. Ihn habe ich angerufen und gesagt: Herr Fritz, Sie müssen mir zeigen, wie ich so ein Haus bauen kann. Er hat es mir gezeigt und dann habe ich angefangen Briefe zu schreiben“, an Menschen von denen Doraja Eberle hoffte, dass sie Geld oder Holz oder Interesse zu geben hätten. „Der erste, der sich zurückgemeldet hat, war ein Bauer. Deshalb heißt der Verein ,Bauern helfen Bauern.‘“
Aus dem einen Haus sind viele geworden. Aus dem spontanen Impuls zu helfen, über 30 Jahre „Bauern helfen Bauern“.
Sie baut nicht nur Häuser
Da soll noch einer oder eine sagen, man sei ein doch zu kleines Rädchen im großen Ganzen. Nein, jede und jeder Einzelne kann einen Unterschied machen.
Übrigens, Doraja Eberle baut nicht nur Häuser, nein. Über sechs Jahre leitete sie 11 Ressorts in der Salzburger Landespolitik. Als 2015 die Flüchtlingsströme Österreich erreichten, stand Doraja Eberle am Salzburger Bahnhof und half. Ob sie auch Fehler gemacht habe, natürlich! Aber zu helfen, war nie einer.
Doraja Eberle ist beim „tut gut“-Forum am 28. September zu Gast beim Talk „Hauptsache man tut, egal wie gut?“, um 13.30 Uhr im KirchenBlatt-Café auf der Bühne des Festspielhauses in Bregenz.