„Warum gibt es Kuschelpartys oder Initiativen von Menschen, die auf der Straße wildfremde Mitbürger:innen umarmen?“ fragt Dr. Christine Rhomberg, Vorstandsvorsitzende des Montagsforums und Moderatorin, in den gut gefüllten Saal und ergänzt: „Wussten Sie, dass im Januar der Weltknuddeltag war und am 29. Juni der Tag der Umarmung?“ Seit der Coronapandemie ist das Thema Einsamkeit und Isolation wieder in aller Munde und daher die Forschungen von Frau Dr. Böhme gerade auch für eine breite Bevölkerungsschicht von großem Interesse.
Frau Dr. Böhme erläuterte am Montagsforum die neurobiologische Basis der Berührungsverarbeitung. Ebenos die entwicklungsbiologische und -psychologische Rolle, die Berührung bei uns Menschen spielt.
„Mein Vortrag hat den Titel Liebe und Nähe aus der Sicht der Medizin und Hirnforschung. Der Fokus wird dabei mehr auf der Berührung sein und nicht so sehr auf der Liebe, aber die Liebe wird dabei immer indirekt mitlaufen, weil Liebe eindeutig eigentlich über Berührung kommuniziert und vermittelt wird“, beginnt Frau Dr. Rebecca Böhme, die an der Ruprecht Karls Universität in Heidelberg und an der Max Planck Research School in Tübingen studierte. „Es gibt natürlich auch Studien, die versucht haben sich die Liebe anzuschauen. Ich aber denke nicht, dass man die Liebe so leicht im Gehirn messen kann. Es gibt Studien, die das versucht haben: So wurden Menschen im MRT mehrfach Fotos von ihren Babys oder ihre Partnern oder Partner:innen gezeigt. Dann sieht man wie verschiedene Regionen im Gehirn aktiv werden. Ob das dann tatsächlich die Liebe abbildet, davon bin ich nicht überzeugt“, meint die Professorin.
Studien belegen: Berührung hat mit Gefühl zu tun.
Rebecca Böhme hat sich daher in ihrem Vortrag mehr auf das Thema Berührung fokussiert, was auch ihrem aktuellen Forschungsthema entspricht. „Ich denke, dass bei dem Thema Berührung die Liebe immer mitläuft. Weil all die nahe Berührung und körperliche Nähe mit emotionaler Nähe zusammenhängt.“ Die Wissenschaft versucht auf verschiedene angelegten Studien zu untersuchen, was bei Berührung im Menschen geschieht. „Bei einer Studie wurde befragt: Wo darf mich jemand berühren, das wurde natürlich in unterschiedlichen Kategorien gefragt: Partner/Partnerin, für Freunde, weibliche Personen, männliche Person, Vater, Mutter, Geschwister, Verwandte, Bekannte und Fremde“, erläutert die deutsche Professorin und spielt Grafiken auf die große Leinwand. „Da sieht man ganz klar, dass es einen Zusammenhang gibt um welche Beziehung es sich handelt mit der Berührungsintensität. Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen wie viele Bereiche im Körper dürfen berührt werden mit der emotionalen Nähe, die empfunden wird. Die Studie wurde im europäischen Kulturkreis angelegt und da gibt es zwischen den befragten Ländern wenig Unterschied.“
„Sie haben sicher schon gehört, dass Liebe mit den Liebeshormon Oxytocin in Verbindung gebracht wird", wendet sich Rebecca Böhme an das Publikum im Saal. "Man sagt, dass Oxytocin das Liebes- oder Bindungshormon sei. Und wir wissen tatsächlich auch, dass bei Berührung Oxytocin ausgeschüttet wird. Das zeigt uns eine Studie von Menschen, die eine Fußmassage erhalten. Einmal von einer Maschine und einmal von einem Menschen. Und während der Massage wurde die Menge von Oxytocin gemessen, die der Behandelte ausgeschüttet hat, sowohl vor und nach der Massage. Und man sieht, dass die Menge die an Oxytocin ausgeschüttet wurde eindeutig gestiegen ist, sowohl bei der Massage von der Maschine wie auch bei der persönlichen Massage", erklärt Rebecca Böhme und ergänzt: "Doch bei der persönlichen Massage ist die Ausschüttung des Bindungshormones wesentlich höher. Oxytocin wird bei Berührung ausgeschüttet, aber es hat auch noch andere Effekte. Wie zum Beispiel, dass man eine stärkere Verbindung zu den Menschen hat, denen man sich eh' schon nahe fühlt. Aber man hat auch eine stärkere Abneigung gegen die Menschen, die man nicht zur eigenen Gruppe zugehörig ansieht." Frau Böhme bemerkt mit einem Lächeln: "Also geht es leider nicht, dass wir Oxytocin ins Leitungswasser schütten und sich dann alle gerne haben."
„Der Berührungssinn ist unser frühester Sinn, nicht erst wenn ein Baby geboren ist, sondern schon vorher im Mutterleib sieht man, dass Babys sich gezielt selbst anfassen. Aber nicht nur sich selbst, sondern sie fassen auch das „soziale Andere“ an, also in diesem Fall ist das der Mutterleib. Bei Zwillingen hat man beobachtet, dass sie sich gegenseitig berühren. Schon vor der Geburt spielt der Berührungssinn eine große Rolle, wir fassen uns selbst an wir lernen das ist unser Körper und das sind die anderen Menschen."
Nach der Geburt interagieren Babys mit den Eltern und Bezugspersonen auch hauptsächlich über Berührung, berichtet die Professorin. "Der Sehsinn und der Gehörsinn sind noch nicht so entwickelt. Die frühen Berührungserfahrungen sind extrem wichtig für die Entwicklung des Babys. Wir müssen lernen, zwischen uns selber und den anderen unterscheiden zu können und die Grenzen wahrnehmen zu können. Gleichzeitig ist es auch ganz wichtig für Empathie und Mitgefühl, diese Grenzen auch dann wieder auflösen zu können. Dass man sich je nach Situation die Grenzen adaptieren kann.“
„Berührung reduziert Stress, verstärkt Wohlgefühle im allgemeinen, verstärkt positiven Emotionen anderen gegenüber und verstärkt das Vertrauen gegenüber den Menschen. Damit das passiert, muss wohl schon eine Beziehung zu einem anderen Menschen vorhanden sein“, weiß Frau Dr. Rebecca Böhme aus verschiedenen Studien. „Wir benutzen Berührung auch als eine Form der nonverbalen Kommunikation. Oft sind wir uns dessen gar nicht bewusst."
Frau Böhme fragt ins Publikum: "Wie gut sind wir darin über Berührung unsere Grundemotion zu kommunizieren?" Und klärt uns auf: „Das Geht auf jeden Fall. Wir haben festgestellt, dass bei Emotionen, die eher als sekundär bezeichnet werden, wie Stolz und Scham, eher die Gestik oder Mimik für den Ausdruck genutzt wurde. Für primäre Emotionen wie Liebe und Sympathie benutzen Menschen eindeutig die Berührung. So zeigt sich aus den Forschungen:
Berührung ist der erfolgreichste nonverbale Kanal zur Kommunikation von Liebe und Mitgefühl.“