Anfang März an einem Montag Nachmittag im Treffpunkt an der Ach in Dornbirn. Heute trifft sich der neu gegründete Aphasie Chor Vorarlberg zum dritten Mal. Und heute in besonderer Konstellation: Die Musikerin und Leiterin des Chores Evelyn Fink-Mennel hat fünf ihrer Student:innen mitgebracht: Lukas und Alexander an der Tuba, Etienne an der Trompete, dazu Carina mit Gitarre und Anna an der Querflöte. Die Mutter von Evelyn Fink-Mennel spielt an der Zither und alle zusammen werden das gemeinsame Singen stimmungsvoll begleiten.
Was bedeutet eigentlich Aphasie genau? Aphasie ist der medizinische Name für den Verlust des Sprechvermögens oder Sprachverstehens infolge einer Erkrankung des Sprachzentrums im Gehirn. Othmar Walser, Initiator und Organisator des Chores erklärt: “Aphasie bedeutet in der Regel keinen kompletten Sprachverlust. Vielmehr kommt es zu mehr oder weniger starken sprachlichen Ausfällen“, so Walser, der vor sechs Jahren ebenfalls einen Schlaganfall erlitten hat. Er weiß wovon er spricht. Der engagierte Chororganisator hat sich selbst mit viel Unterstützung von außen, aber auch mit einem starken Willen, sein Leben zurückerobert: „Die sprachlichen Ausfälle zeigen sich bei Aphasie sowohl beim Sprechen und Sprachverstehen als auch beim Lesen und Schreiben“, erklärt Walser und ergänzt: „Die Betroffenen sind dadurch in ihrer Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt, jedoch ist das Denken und die Geisteskraft ungestört.“
Während die Sänger:innen eintrudeln, stimmen die Student:innen klangvoll ihre Instrumente aufeinander ab. „Was magst du singen Rita?“ fragt Evelyn, die ihre Geige spielbereit hält. Rita hat vor einiger Zeit eine Hirnthrombose erlitten, reden war anfänglich gar nicht mehr möglich. Jetzt ist das Sprachvermögen wieder aktiver und singen kein Problem, wie alle gleich hören werden. Rita sucht sich aus dem Gesangbuch ein Vorarlberger Lied aus und schon stimmt Wilma, die Mutter der Chorleiterin, auf der Zither das Lied an und alle legen los. „Sie wünschen wir singen“ ist Evelyn Fink-Mennels Devise für alle Sänger:innen. Dazu hat die vielseitig interessierte Musikerin ein wunderbares Liederbuch zusammengestellt. Ein Liederbuch ohne Noten nur mit Text in großen Buchstaben. Darin sind Stücke enthalten wie „D’Zit ischt do“, „D’Brunäla“ oder „Hoch auf dem Gelben Wagen“ sowie Popsongs wie „Über den Wolken“ und „Über sieben Brücken musst du gehen“ und auch von der Popband den Toten Hosen ist ein Song dabei. „Es geht um die Aktivierung des Sprachzentrums und der Sprechmuskulatur“, weiß Fink-Mennel: „Beim Singen wird, anders als beim Sprechen, auch die rechte Hirnhälfte aktiviert. Die geschädigte linke Hirnhälfte erhält somit Unterstützung bei der Sprachproduktion.“
Wer mit anderen singt, fühlt sich geborgen und aufgehoben, heißt es auf der website von aphasie suisse. Schweizweit gibt es inzwischen 10 Chöre und einen Jodelchor für von Aphasie betroffenen Menschen. „Die Schweiz und Deutschland sind in Sachen Unterstützung von Aphasie Betroffenen einiges weiter als Österreich. Österreich bringt im Verhältnis zur Schweiz und Deutschland etwa 1/5tel bis 1/10tel des Budgets auf, um Selbsthilfegruppen zu unterstützen“, berichtet Othmar Walser und erklärt: „Die Möglichkeiten, um mit der Selbsthilfe Vorarlberg kompetente Hilfsmittel herzustellen, fehlen die Ressourcen. Darum habe ich den Verein Österreich Schlaganfall & Aphasie Bewältigung gegründet.“
Als Unterstützer hat der Macher, der früher als Marketingleiter in Paris und Genf tätig war, aphasie suisse, den Bertelsmann Konzern und die Österreichische Schlaganfallgesellschaft ins Boot geholt. Doch das reicht Othmar Walser noch lange nicht und er sprudelt nur so von Ideen: „Ich werde den Verein mit einem Stand auf der 76. Herbstmesse Gesundheit & Wellness im September präsentieren.“ Wenn es nach seinen Vorstellungen geht wird er dort sinnvolle Kontakte knüpfen, Aufklärungsarbeit leisten und er wünscht sich ebenso, dass der Chor dort einige Lieder präsentiert. Evelyn Mennel-Fink ist begeistert von dieser Idee. Während der Probe ist deutlich zu spüren, dass die Sänger:innen mit den Musiker:innen zu einer musizierenden Gruppe zusammenfinden und das gemeinsame Singen die Menschen über ihre Beeinträchtigung hinaus verbindet.
Rosa Andrea Martin
Vielleicht kennen Sie Menschen, die auch an diesem Aphasie Chor in Vorarlberg mitmachen möchten? Dann können Sie sich direkt an Othmar Walser wenden, unter othmar.walser@gmx.at.
Weitere Informationen finden Sie hier:
Flyer Aphasie-Chor Vorarlberg zum Download: