Im konkreten Fall ist also jede und jeder aufgefordert, sich an den Samariter zu erinnern.
Prof. Jacobs: Ja, und Ich will dazu ein Beispiel erzählen, das mich in meiner Kindheit sehr geprägt hat. Es ist übrigens auch eine Weihnachtsgeschichte. In dem Stadtteil, in dem ich aufgewachsen bin, gab es einen evangelischen Hausarzt, der ein besonderes Gespür für Menschen hatte, die nichts hatten. Meine Eltern haben sich von diesem Hausarzt in der Adventszeit immer ein paar Adressen geben lassen. Und dann haben sie mit uns ein Spiel daraus gemacht: Beschenken, aber sich nicht erwischen lassen. Das war ein tolles Spiel. An Heiligabend sind wir zu den Adressen hingefahren und wir Kinder hatten die Aufgabe zu klingeln, eine Tüte mit Nahrungsmitteln an die Türklinken zu hängen und schnellstmöglich abzuhauen. Was ich sagen will ist: es geht darum, für die Nächstenliebe richtig erfinderisch zu werden.
Wir haben uns in den letzten Jahren stark mit Marken, Stärken und Kernwerten beschäftigt. Ist das ein Weg hin zur Kernstärke des Christentums?
Prof. Jacobs: Erfinderisch werden in der Liebe, das wäre unser Markenzeichen. Das ist der Kern der Botschaft Jesu. Es ist nicht irgendwo ein Zusatzpunkt oder ein „kann“, es ist der Kern seiner Botschaft. Das alte Motto der Pfadfinder – jeden Tag eine gute Tat – ist so etwas. Wenn wir das einüben können, dann kommen wir vermutlich wieder sehr nah an das ran, was Jesus eigentlich meinte.
Und das sind nicht immer die großen Dinge.
Prof. Jacobs: In der Regel sind das die kleinen Dinge.
Kommen wir noch einmal zum Anfang zurück. Sie haben dort gesagt, dass es professionalisierte Hilfe, aber eben auch individuelle Hilfe geben muss. Was unterscheidet die beiden?
Prof. Jacobs: Die echte Zuwendung des Herzens ist entscheidend. Dass die Menschen spüren, hier werden Beziehungen aufgenommen. Die Person spürt dann, die gute Tat, die mir getan wird, geschieht nicht deswegen, damit der andere sich sein Herz erleichtert.
Manchmal kostet es aber auch Überwindung zu helfen.
Prof. Jacobs: Ja, aber – und das ist mir als Priester und Psychologe wichtig - solche Sachen lassen sich wirklich üben. Man kann sich vornehmen, der Erste zu sein und um das sein zu können, stelle ich mir möglichst häufig vor, was ich tun könnte.
Jede und jeder kennt diesen Satz von dem „Ach, das jetzt auch noch.“ Der Satz hat sicher auch seine Berechtigung. Ist er aber nicht manchmal auch sehr angenehm, weil man sich dann – wie Sie gesagt haben – nicht „stören“ lassen muss?
Prof. Jacobs: Das ist ja diese Fundamentalkritik, die Jesus mit dem Gleichnis vom Samariter macht. Es geht um die Fundamentalkritik an Abläufen, die das Herz der Menschen und auch die Zeit der Menschen schon besetzt haben. Ich finde es schon nachdenkenswert, dass die beide, der Priester und der Levit ja an dem Punkt angegangen werden, an dem sie frei haben. Sie kamen vom Tempel und wollten nach Hause. Und vielleicht haben sie sich genau dieselbe Sache gesagt: Und jetzt das auch noch. Der Samariter aber behandelt die Wunden des Verletzten mit Öl und Wein.
Ein befreundeter Bilbelwissenschaftler hat mir einmal gesagt, es wäre zu kurz gedacht, wenn wir sagen würden Öl und Wein sind Desinfektionsmittel. Wir müssen weiterdenken. Die Kernmaterie des Opfers im Tempel sind Öl und Wein.
Das heißt, der Priester und der Levit werden abgelöst durch den Samariter mit Öl und Wein. Das „Kerngeschäft“ findet also im Dienst am Nächsten statt. Mit diesem Gleichnis erklärt der Evangelist den Dienst am Nächsten zum Kerngeschäft der Kirche.
Welche Rolle wird die Nächstenliebe Ihrer Meinung nach für die Kirche der Zukunft spielen?
Prof. Jacobs: Die zentrale. Denn aus der Sicht der Menschen ist das das Maßkriterium, ob wir es ernst meinen. So einfach ist das.
Kurz-Vita
Prof Christoph Jacobs
- 1958: geboren in Köln
- Studium der Philosophie und Theologie in Paderborn und Fribourg/CH
- Priesterweihe 1985, anschließend 3 Jahre Vikar in Meschede Sauerland
- 1988: Studium der Psychologie in Fribourg/CH
- 1998: Promotion in Pastoraltheologie / Pastoralpsychologie in Passau
- Lehraufträge u. a. für Psychologie an der Katholischen Fachhochschule / Katholische Hochschule Paderborn, in Passau, Fulda und in Münster; Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie am Erzbischöflichen Priesterseminar in Paderborn