
Was ist über den Verfasser des Markus-Evangeliums bekannt?
Prof. Dr.in Maria Theresia Ploner: Die kirchliche Tradition nennt – was historisch eher unwahrscheinlich ist – den Paulusbegleiter Markus als Verfasser des Evangeliums, wohl um die Schrift durch die angedeutete Apostelnähe zu autorisieren. Das Evangelium wurde in griechischer Sprache verfasst, aramäische Ausdrücke werden übersetzt, jüdische Bräuche erklärt. Einige Begriffe kommen aus dem Lateinischen. Als Abfassungsort wird daher mehrheitlich Rom vermutet, als Adressatin des Evangeliums eine (überwiegend) nichtjüdische Jesusgemeinde. Die Frage, ob der Verfasser selbst Jude war oder nicht, kann jedoch nicht endgültig geklärt werden.
Wann ist das Markus-Evangelium entstanden?
Ploner: Die Entstehung des Evangeliums wird gemeinhin kurz nach 70 n. Chr. angesetzt. Unmittelbar vorher hatte der General Vespasian mit seinem Sohn Titus den jüdischen Aufstand niedergeschlagen, Jerusalem erobert und den Tempel zerstört. Die jüdische Religionsgemeinschaft und mit ihr die Jesusbewegung taumelte in die Krise, Vespasian hingegen katapultierte dieser militärische Erfolg auf den Kaiserthron. Krisen lassen Identitätsfragen aufbrechen. Diesen Fragen stellt sich das Markus-Evangelium.
Wie übersetzt das Markusevangelium die Jesusbotschaft in den griechisch-römischen Kulturbereich?
Ploner: Der Verfasser schreibt seine Jesusgeschichte für eine nichtjüdische Gemeinde, die ihren Jesusglauben inmitten der griechisch-römischen Welt zu leben versucht. Das erfordert eine Übersetzung der jüdisch und ländlich geprägten Jesusbotschaft nicht nur in den städtischen Kontext, sondern auch in die Denk- und Sprachwelt des Römischen Reiches. Begriffe wie „Evangelium“, „Vollmacht“ oder „Sohn Gottes“, welche ganz stark mit dem römischen Kaiser verbunden sind, erfahren eine jesuanische Umprägung. Das Evangelium selbst orientiert sich an der literarischen Form der Kaiserviten, den Lebensbeschreibungen antiker Herrscher.
Auf welches Textmaterial griff Markus zurück?
Ploner: Der Verfasser kann auf verschriftlichte und mündliche Gemeindetraditionen zurückgreifen: auf Sammlungen von Sprüchen, Gleichnissen, Streitgesprächen, Wundergeschichten und eine Passionserzählung. Seine Quellen hat er allerdings zugunsten seiner Erzähldramaturgie bearbeitet.
Welchen Erzählbogen spannt Markus über das Leben Jesu?
Ploner: Die Dramaturgie des Markusevangeliums zielt ganz auf die Kreuzigung hin. Sie verweist damit wohl auf ein Problem in der Verkündigung. Denn die Kreuzigung war für die Römer die schändlichste Tötungsart und daher allein den kriminellen und aufständischen Nichtrömern vorbehalten. Wie soll aber der gekreuzigte Jesus angesichts eines solchen Negativ-Image überhaupt als göttlicher Heilbringer und Sohn Gottes in der römischen Gesellschaft geglaubt, geschweige denn erfolgreich verkündigt werden? Der Verfasser schreibt gegen eine mögliche Verdrängung des Kreuzestodes Jesu in der Christusverkündigung an, weil damit auch ein bestimmtes Profil der Gemeinde verbunden ist. So impliziert der Kreuzestod Jesu ein Lebens- und Gemeindemodell, das von Status-, Macht- und Gewaltverzicht sowie gegenseitiger Dienstbereitschaft gekennzeichnet ist. Daran gilt es festzuhalten.
Wie lehrt Markus „Nachfolge Christi“?
Ploner: Herzstück des Evangeliums ist der Weg, der mit dem Petrusbekenntnis im nördlichen Cäsarea Philippi beginnt, wo auch Vespasian seine Truppen sammeln ließ, und in den Süden, nach Jerusalem, führt, wo den Heilsbringer Jesus jedoch nicht die Kaiserwürde erwartet, sondern die schandvolle Kreuzigung. Der Evangelist konzipiert diesen Weg (Mk 8,27-10,45) als Lehrpfad für die engsten Begleiter Jesu – den Zwölf. Doch die scheinbar „großen“ Figuren scheitern kläglich am Anspruch der Neuen Welt Gottes und der Nachfolge Jesu. Anders hingegen die unscheinbaren „kleinen“ Figuren, die der Evangelist Jesus begegnen lässt. Sie setzen Nachfolge vorbildlich um und erweisen sich dadurch als authentische und nachahmenswerte Jünger:innen. Der Evangelist wiederum erweist sich mit diesem „Figurenspiel“ (Martin Ebner) als genialer Erzähler.
Prof. Dr.in Maria Theresia Ploner ist Professorin für Neues Testament an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen.
Aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 44 vom 23. November 2023