Wann hört das endlich auf?" Mit diesem Satz eröffnet Markus Bugnyár seinen Vortrag beim Montagsforum. "Und das fragen wir uns ja nicht erst seit dem 7. Oktober. Doch die Situation ist sehr komplex. Daher erläutere ich Ihnen heute die Situation im Heiligen Land aus historischer und theologischer Sicht."
Wie grenzen sich Religionen ab? Markus Bugnyar klärt uns auf: "Im Nahen Osten sind drei Religionen vorherrschend: das Judentum, Christentum und der Islam." Damit die Menschen, der unterschiedlichen Glaubensrichtungen miteinander leben können, haben sie sich drei Ordnungsprinzipien der Trennung erschaffen, erklärt Bugnyár: "Das Prinzip der Raumteilung, das Prinzip der Zeiteinteilung und das Prinzip der Gruppenzugehörigkeit.“
Der österreichische Theologe untermalt seine Erläuterungen mit historischen und aktuellen Bildern. Er zeigt ein Bild des jüdischen Tempelberges, der für sowohl für das Judentum, Christentum und den Islam von wichtiger Bedeutung ist. Der Tempelberg ist ein Hochplateau in der Altstadt von Jerusalem und so für alle Menschen und die Gläubigen gut sichtbar und zeigt zugleich die Trennung. Der Tempel oder die Tempelanlage, die oft eine Mauer umgibt, ist das Heilige und wird durch die besondere Lage oder durch eine äußere Abgrenzung wie eine Mauer vom profanen, also den Menschen und ihren Häusern, räumlich abgegrenzt. Er führt weitere Beispiele an: "Betrachten wir die Akropolis in Athen. Oben wohnt die Gottheit, unten der Mensch. Oder in Rom, da gibt es den heiligen Bezirk. Auch in einem Götterhein gibt es die Trennung: das kann ein heiliger Baum oder eine Lichtung sein, zu der nur einige auserwählte Menschen Zugang haben."
Wenn so ein abgegrenzter Bereich einmal definiert ist und einer Gottheit zugehörig ist, dann bleibt dies auch so, weiß Bugnyár und erklärt wieso: „Das ist ja schwer vorstellbar, dass ein Ort, zu dem Generationen gepilgert sind, auf einmal nichts mehr wert ist. Was passiert nun mit den Tempeln, Kirchen oder heiligen Orten bei der Eroberung eines Landes? fragt Bugnyár in die Zuhörerschaft. Da gibt es in der Religionswisschenschaft ein bekanntes Prinzip : "Einmal heilig, immer heilig." Was bedeutet dies? Die Eroberer haben eine andere Religion. Dann tun sie etwas, sie reißen zwar die Tempel der alten Gottheiten ab, bleiben aber am gleichen Ort und bauen einen neuen Tempel drüber. Das macht es der angestammten, aber eroberten Bevölkerung leichter. Sie können ja immer noch an denselben Ort gehen. Auch wenn man innere Aversionen hat, immer noch zu den alten Göttern beten, aber im Laufe der Generationen, wird dieses Wissen schwinden und die Bevölkerung wird die neue Religion übernehmen. Das haben alle Relgionen so gemacht. So wird der Wechsel des Religionsbekenntnisses den Menschen erleichtert. Ein Beispiel: das Pantheon eine römische Tempelanlage. Pantheon bedeutet allen Göttern geweiht. Heute eine christliche Kirche, einfach umgewidmet. Man baut drüber, um den Wechsel der Herrschaft deutlich zu machen. Aber kommen wir nach Jerusalem zur Zeit Davids: Der Tempel ist oben und die Menschen unten. Die Menschen können sehen, dass der Tempel ein heiliger Ort ist, weil 24h Opfer dargebracht wurden, und das in einer Feuersäule für die Menschen sichtbar war. Das Tempelareal in Jerusalem ist das größte in seinen Ausmaßen, dass in der Antike gebaut wurde. Auch heute ist die Abgrenzung lebendig: Wir sehen immer noch ganz klar, das Areal des Tempelgebäudes, heute fest in muslimischer Hand, die Al-Aksa-Moshee. Für die jüdischen Gläubigen ist die Klagemauer der wichtigste religiöse Ort.“
„Am Beispiel von Hebron haben wir nicht nur die räumliche Trennung von hier Muslime da Juden, sondern auch die Zeitliche. Es gibt das Zugeständnis, dass man an zehn jüdischen Feiertagen in den muslimischen Bereich gehen darf. Und an zehn muslimischen Feiertagen in den jüdischen. Das heißt, an diesenTagen gehört das gesamte Areal der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Man organisiert sich also nach Feiertagen, einem Zeitprinzip. Und das funktioniert“, berichtet Bugnyár: „Wenn auch nicht alle damit glücklich sind.“ Bugnyár erläutert das Prinzip auch am Beispiel der Grabeskirche: „Sie ist ein Sammelsurium aus verschiedener Bauetappen. Das was sie heute sehen, ist alles andere eine Wallfahrtskirche, aber sie ist ein Zeugnis der Jahrhunderte, die erste Grabeskirche entstand im 4. Jahrhundert. In der Grabeskirche finden Sie viele christlichen Glaubensgemeinschaften: Die Katholiken, griechisch Orthodoxen, Syrer, Kopten, Armenier und Äthiopier. Jede christliche Kirche versucht natürlich am Ort des Urprungs präsent zu sein. Und so muss man sich organisieren. Das geht sowohl räumlich, da es für die Glaubensgemeinschaften innerhalb der Grabeskirche abgegrenzte Gebiete gibt, wie auch zeitlich. All diese Kirchengemeinschaften haben ihre Feiertage, die aufgrund unterschiedlicher Kalender an verschiedenen Tagen gefeiert werden. So stimmt man sich aufeinander ab.“
Professor Bugnyár schlüsselt uns auf, wie die Einteilung in unterschiedliche Gruppierungen funktioniert hat und auch heute noch funktioniert: „Wir haben ein Bild im Hinterkopf, was die Kleidung der Menschen angeht. Das funktioniert intuitiv. Das funktionierte auch in der Antike. Die Kleidung differenziert innerhalb der Gesellschaft, welchen Rang, welche Position der Mensch innehat. Als Vorbild immer der Hohe Priester in seiner vollen Montur. Im Grunde ist es genau dasselbe wie einem Raum, einem Gebiet, einer Fläche, das sie herausheben und sagen das gehört einer Gottheit. Bei einem Menschen ist es ja ähnlich. Man studiert Theologie, hat sich für eine „Berufung“ entschieden. Viele reden davon, dass sie sich berufen fühlen von Gott. Dann wird man geweiht, durch die Weihe selber wird man herausgenommen aus der Gesamtgruppe der Gläubigen und nimmt eine Mittelposition zwischen Mensch und Gott ein. So dürfen nur die höchsten Priester im Judentum zum Allerheiligsten, das an einem bestimmten Ort ist. Das ist auch eine Bürde, denn je höher das Amt, desto größer die Vorschriften, die einzuhalten sind. Im Judentum kann man die Unterscheidung zu den anderen Menschen anderer Glaubensbekenntnisse sehr gut erklären: der Glaube wird durch die Geburt, also durch die Mutter vererbt, man hält Gebote ein und so gehört man zum heiligen Volk. Das Christentum hat die Einhaltung durch eine biologische Abstammung entgrenzt. Christ wird man nicht durch die Geburt, sondern durch die Taufe. Auch hier ist das Prinzip tätig: Die Berufenen halten zu ihrer Glaubensgemeinschaft und deren Gebote hoch. Schauen wir noch auf den Islam. Muslim zu werden ist nicht schwer. Der Islam hat die fünf Säulen, das muss der Gläubige wissen, sie sprechen das Glaubensbekenntnis mit zwei Zeugen und schon ist man konvertiert“, erläutert Bugnyár.
„Alle drei Ordnungsprinzipien grenzt Religionen voneinander ab. Die Grenze haben wir gemeinsam, die wird eingehalten. Über die Grenze hinweg kann man sich jovial verhalten. Man begegnet einander im wechselseitigen Respekt. Ein Zitat von Carl Sandburg sagt: „Liebe deinen nächsten wie dich selbst, aber verzichte nicht auf deinen Zaun.“ Warum? Weil dieser Halt gibt“, resümiert der Theologe.
Bugnyár schliesst seinen Vortrag mit folgendem Satz ab: „Das was innerhalb der Religionsgemeinschaften funktioniert durch die Grenzen, das funktioniert nicht in der Politik.“
Hon.Prof. MMag. Markus Stephan Bugnyar, geboren 1975 in Wien, Studium der Katholischen Fach-Theologie und der Selbständigen Religionspädagogik an der Universität Wien, am Theologischen Studienjahr der Benediktiner-Abtei Hagia Maria Sion (Dormitio) in Jerusalem sowie an der École biblique et archéologique française de Jérusalem. Rektor des Österreichisches Hospizes zur Heiligen Familie in Jerusalem seit 2004.