Der Hirte ist ein wichtiges biblisches und kirchliches Motiv, das uns in der Advents- und Weihnachtszeit begegnet. Was wir mit dem Bild des Hirten verbinden können, beleuchtet Bibelreferent Erich Baldauf wöchentlich bis Weihnachten. Teil 4 von 5.

Erich Baldauf

Hirten sind in der Zeit Jesu religiöse Außenseiter. Sie zählen zu den notorischen Sündern. Ihnen ist es z.B. nicht möglich, am Sabbat die vorgeschriebene Tausend-Schritte-Regelung zu halten, wie es das Gesetz fordert. Die Wege mit den Herden zu den Weideplätzen sind weiter.
Sie, die Hirten, sind es, die von den Engeln als erste die Botschaft hören: Heute ist euch der Retter geboren.  Es ist für alle Zeit ein Weckruf des Lukas, der feststellt, dass die Botschaft von Weihnachten an den Schriftgelehrten, Ältesten, Hohepriestern, Wallfahrern oder anderen religiösen Eiferern vorbeigeht:  
In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr (Lukas 2,8-11).

Hirten sind gefordert, wachsame Menschen zu sein - gerade in der Nacht. Das Kind, das sie suchen, liegt in einer Krippe, so wird ihnen gesagt. Die alltägliche Krippe wird für sie zum Zeichen des Außergewöhnlichen, zum Zeichen der Gegenwart Gottes und einer neuen Hoffnung.     
Sie hören die Botschaft von Engeln. Sie haben einen Sensus für Stimmen und Realitäten, die mit den fünf Sinnen nicht wahrnehmbar sind. Sie ahnen tiefer liegende Wahrheiten. Sie sind zugleich bodenständig und keinesfalls einfältig. Sie machen sich auf den Weg und prüfen, ob das Gehörte wahr ist. Sie sind keine Beute von „fake news“ oder Verschwörungstheorien.  

Wenn wir an Weihnachten die Hirten besingen, dann sind wir daran erinnert, dass niemand darüber verfügt, wem sich Gott offenbart und zuwendet. Vielleicht sind es die religiösen „Außenseiter“, die uns heute an jene „Krippen“ führen, in denen wir Gott, den Retter finden?


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