Zweieinhalb Jahre gewährte die Familie Rusch einem Geflüchteten Gastfreundschaft in der wohl großzügigsten Form: sie gaben ihm ein Dach über dem Kopf, Familie und Heimat. Damit zeigten sie, dass christliche Werte und die Orientierung an Menschenrechten mehr sind als politische Floskeln. Sie bedeuten Teilhabe.

Patricia Begle

Zu Weihnachten 2015 beschlossen Angelika und Werner Rusch, einen Flüchtling bei sich aufzunehmen. Woran manche nicht einmal denken, ist für die beiden eine Selbstverständlichkeit. Für Angelika liegt die Motivation dafür in ihrem Christ-Sein: „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen“, heißt es im Evangelium. Für Werner, der sich als Atheist bezeichnet, ist es eine Frage der Humanität. „Das ist eine Menschenpflicht“, erklärt der Dornbirner.

Rechtliche Hürden

Rahmatallah Sultani lernten sie beim Lauftraining kennen. „Er joggte immer mit seinem Notizheft neben mir. Hörte er ein neues Wort, blieb er stehen und schrieb es auf“, erzählt Werner. „Außerdem schaute er immer so sehnsüchtig in unser Wohnzimmer herein“, ergänzt Angelika. „Er ist ein Familienmensch.“ Der Weg zur Familie Rusch dauerte für den jungen Mann aus Afghanistan dann ein halbes Jahr, denn der Aufenthalt in einer Familie ist gesetzlich nicht vorgesehen. Mit viel Engagement und Hartnäckigkeit erreichten die Ruschs schließlich die Ausnahmenregelung.

Bestens integriert

Für zweieinhalb Jahre wurde die Familie von einer vierköpfigen zu einer fünfköpfigen, Sultani gehörte fast wie ein eigener Sohn dazu. Er erlebte den Alltag, den Umgang miteinander, die Haltungen und Werte, die in der Familie vertreten werden, Arbeit, Essen, Freizeitaktivitäten. „Er fühlte sich in unserer Kultur irgendwann mehr zuhause als in der afghanischen“, erzählt Angelika. Heute kann er jassen und Schi fahren, mag Kässpätzle und kocht sie selbst. Seit einem halben Jahr wohnt der heute 26-Jährige in einer kleinen Wohnung, holt gerade den Hauptschulabschluss nach und startet dann eine Zimmermanns-Lehre. Er arbeitet ehrenamtlich im „Postfach“ - einer Kleider-Sammelstelle - und nennt ein paar ältere Frauen vertrauensvoll „Oma“.

Der „neue Weg“

Seine grundsätzliche Neugier und Offenheit öffneten ihm die Tür zum christlichen Glauben. Er erinnert sich an eine Phase, in der die Sorge um seine Familie in der Heimat ihm den Lebensmut nahm. In der Begegnung mit Jesus fand er damals Kraft. „Jesus hat mir mein Leben gerettet“, erzählt er heute. Er nennt das Christentum den „neuen Weg“, denn das Wort „Religion“ ist für ihn mit Angst und Zwang behaftet.

Religion verstehen

Im Dezember 2017 entschloss sich Sultani, zum Christentum zu konvertieren. Seither trifft er sich wöchentlich mit Pfarrer Christian Stranz und setzt sich mit großer Ernsthaftigkeit mit biblischen Texten und Glaubensinhalten auseinander. Denn er will verstehen und Rede und Antwort stehen können. Zuhause war Angelika Ansprechperson für religiöse Fragen. „Die Gespräche und das gemeinsame Nachdenken über Bibelstellen und Lehraussagen haben auch mein Gottesbild bereichert“, erzählt die Religionslehrerin. Für sie ist das Kennenlernen der jeweils anderen Religion von großer Bedeutung. Der erste Schritt müsse dabei von Christ/innen kommen, ist sie überzeugt. Denn Flüchtlinge brächten oft Vorurteile gegenüber der christlichen Religion mit. Diese führten auch dazu, dass seine Konversion bei seinen Landsleuten vielfach auf Unverständnis stieß. Letztendlich brach er mit seiner Community.

Neuer Mensch

In Dornbirn hat er eine neue Gemeinschaft gefunden, in der Osternacht wird er durch die Taufe offiziell aufgenommen. „Ich werde als neuer Mensch geboren, kann ganz neu anfangen“, ist sich Sultani bewusst. Zeichen für diese neue Identität ist der neue Name, den er sich gewählt hat: Niko. Als seine Gota wird Angelika gemeinsam mit ihrem Mann das tun, was sie bisher mit so viel Engagement und Freude gemacht haben: Niko begleiten.