Jüdisches Viertel in Hohenems - ja, klar, 100 mal schon gehört. Durchgefahren, aber sicher doch. Wirklich dort gewesen? Hm,... Eben. Das ist übrigens nicht der einzige Grund, warum eine Führung durch das Jüdische Viertel von Hohenems fix gebucht werden sollte.

Um Punkt 11 Uhr startet die Führung durch das Jüdische Viertel von Hohenems. Treffpunk ist natürlich das Jüdische Museum. Um 10.30 Uhr schüttet es sintflutartig. Es donnert. Und dann, um 10.55 Uhr, wird der Regen weniger. Man kann es wieder wagen, einen Schritt vor die Türe zu setzen und eine Gruppe von rund 10 Personen setzt sich in Bewegung.

Als das Geld knapper wurde

Zuerst geht es in Richtung Palast. Falsch, möchte man rufen. Zum Viertel geht es da lang. Aber es hat schon alles seine Richtigkeit, denn Geschichte und Geschichten verlaufen nur in den allerseltensten Fällen linear. Das trifft so auch auf die Geschichte der Juden von Hohenems zu - und deshalb startet man die Führung durch das einstige Judenviertel eben gerade nicht dort, sondern am Palast der einstigen Grafen von Hohenems. Nun, warum also gerade dort? Na, weil der Bau des Palastes in eine Zeit fiel, in der es für die Grafen von Hohenems aufwärts gehen sollte. Hatten sie zuvor auf der Burg  Alt-Ems über der Stadt "gehaust", so beschloss Kardinal Mark Sittich von Hohenems, dass es sich für seine Familie einfach nicht mehr schickte, so altmodisch zu residieren. Also beauftragte er den italienischen Architekten Martino Longhi mit dem Bau des Renaissance-Palastes in Hohenems. Graf Kaspar von Hohenems, der Neffe Mark Sittichs, sollte den Bau schließlich zu Ende bringen, was auch gut war, denn das Geld wurde eher knapper als mehr. Und so kam es, dass man begann, sich über Finanzielles Gedanken zu machen. Die Idee: Warum nicht jüdische Familien in Hohenems ansiedeln. Bauplatz und Material wurde ihnen gestellt, der Schutz des Grafen ihnen zugesichert - Stichwort Schutzbrief, was die späteren Grafen nicht davon abhielt, diesen aufzuheben, die Juden zu vertreiben und dann wieder - mit neuem Schutzbrief nach Hohenems zu rufen.

Die ersten 12 Juden von Hohenems

So kamen sie also, die ersten 12 Juden von Hohenems. Und es stimmt, es wurde ihnen Baumaterial zur Verfügung gestellt. Auch die Bauplätze waren vorhanden - wobei ihnen die so auch niemand streitig gemacht hätte. "Interessant am Jüdischen Viertel von Hohenems ist auch, dass es hier nie eine Begrenzung gab wie etwa eine Mauer. Natürlich gab es die natürliche Grenze des Emsbaches, mehr  aber nicht", erklärt da Elisabeth Bitschnau, die seit Jahren Führungen für das Jüdische Museum anbietet und auch an diesemSamstagvormittag ihre Gruppe durch die Stadt bugsiert.

Wo sich die Gassen kreuzen

Dann geht es weiter, und nun setzt man wirklich die ersten Schritte in das Jüdische Viertel der Stadt. Erste "Haltestelle" ist der Punkt, an dem sich Marktstraße und Schweizerstraße treffen - am Brunnen vor dem ehemaligen Gasthaus Engelburg. "Früher trugen die Straßen hier die Namen Judengasse und Christengasse. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Postkarten, auf denen damit geworben wurde. Wenig später war das nicht mehr so", erzählt Elisabeth Bitschnau und lotst ihre ZuhörerInnen über die kleine Kreuzung und auf die Gartenseite der ersten Villa Rosenthal von Hohenems. Die beherbergt im Erdgeschoss das Schubertiade-Büro und das Elisabeth Schwarzkopf-Museum. Im ersten Stock ist sie bis heute bewohnt. Hier hört man davon, dass man in Hohenems insgesamt drei Rosenthal'sche Villen zählt, dass sie alle auf eine Familie beziehungsweise zwei Brüder zurückzuführen sind und dass der Name Rosenthal ein "zufällig" gewählter Name war, als die Juden im 18. Jahrhundert in Österreich gezwungen waren, feste Familiennamen anzunehmen.

Die letzte Rosenthal von Hohenems

Beruflich gesechen waren die ersten Juden von Hohenems noch sehr stark eingeschränkt. Da es ihnen nicht erlaubt war, ein Handwerk auszuüben, konzentrierten sie sich auf das Handeln und Hausieren. "Sie verkauften vor allem das, was die Bauernfamilien nicht selbst herstellten. Knöpfe zum Beispiel oder ein spezielles Tuch. Oder sie handelten mit Vieh, kauften einem Bauer ein Kalb ab und versuchten es in der Schweiz weiterzuverkaufen. So war eine Kuh oft weiter gereist, als ihr ehemaliger Besitzer je kommen sollte", lächelt Elisabeth Bitschnau, bevor es eine Station zweiter zur zweiten Villa Rosenthal - dem heutigen Jüdischen Museum und damit auch zur Geschichte der letzten Bewohnerin des Hauses - geht. Das war Clara Heimann-Rosenthal. Aufgewachsen in Hohenems, verheiratet in Belgien kam sie nach dem Tod ihres Mannes zurück in ihre Heimatstadt. Ihre Familie war angesehen in Hohenems. Textilfabrikanten waren sie gewesen. Um ihre Zukunft machte sich Clara Heimann-Rosenthal keine Sorgen. Auch nicht, als ihr Sohn Joseph immer öfter aus Belgien schrieb, dass die Mutter doch bitte Hohenems verlassen solle. Es sei dort nicht mehr sicher. Clara Heimann-Rosenthal antwortete meist dahingehend, dass er sich keine Gedanken zu machen brauche. Jeder kenne sie in der Stadt. Ihr, der Farbrikantentochter, werde nichts geschehen. Clara Heimann-Rosenthal wurde als eine der letzten acht Juden von Hohenems 1940 nach Wien verbracht und starb 1942 im KZ Theresienstadt. Ihr Sohn überlebte den Zweiten Weltkrieg - versteckt bei Freunden.

Zwischen Kaffee- und Armenhaus

Und es geht weiter, vorbei am ehemaligen Café Kitzinger, benannt nach dem ersten Besitzer, dem keine Konzession für ein Gasthaus ausgestellt wurde, da es in Hohenems schon genügend gäbe. Aber ein Café könne er eröffnen. Das tat er auch, mit Billardtisch im ersten Stock. Weiter wandert der Blick über eine Reihe großer, stattlicher Häuser, die die ersten Mietshäuser der Stadt waren. Die Schritte aber werden in die andere Richtung gelenkt, hin zu einer Reihe kleinerer Häuser, an deren Ende wiederum ein großes Gebäude zu sehen ist. Es war das frühere Armenhaus. Denn man könne sich sicher gut vorstellen, dass viele der jüdischen Familien mit dem Hausieren und Handeln nicht reich wurden, erklärt Elisabeth Bitschnau. Wurde die Elterngeneration zur Großelterngeneration, so reichte das Geld oft hinten und vorne nicht mehr und man übersiedelte ins dieses Haus. Noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts, so erzählt Elisabeth Bitschnau weiter, war über dem Tor die Inschrift zu lesen, dass man sich doch immer an die Stifter dieses Hauses - an Josef und Clara Rosenthal - erinnern solle.

Nanette Landauer, Stefan Zweig und Salomon Sulzer

So gibt das Jüdische Viertel Stück für Stück seine Geheimnisse und verschütteten Geschichten preis. So lernt man Nanette Landauer kennen, die Wirtin zur "Frohen Aussicht", zu deren Begräbnis 1936 noch die Bürgermusik von Hohenems den Trauerzug zum Jüdischen Friedhof begleitete. Man steht vor dem Geburtshaus von Salomon Sulzer, dessen Name noch heute in  den Gesangsbüchern der jüdischen Gemeinden in aller Welt zu lesen ist. Man dreht sich einmal im Kreis und erkennt das Brettauer-Haus, aus dem die Mutter des Schriftstellers Stefan Zweig stammte und sieht sich in der ehemaligen Synagoge um, die später zum Feuerwehrhaus umfunktioniert wurde und heute ein Haus der  Kultur ist.

Ein Ende des Dornröschenschlafs

Und dann ist da natürlich noch die dritte Rosenthal-Villa, die herrschaftlichste von allen, die am Stadtausgang von Hohenems lange Zeit ein elendes Dasein fristete. "Kommen Sie in ein paar Jahren wieder, bis dahin soll sie nämlich saniert werden", stellt Bitschnau da ein Ende des Dornröschenschlafs in Aussicht. Übrigens, in direkter Nachbarschaft zu ebendieser Villa Franziska und Ivan Rosenthal befindet sich auch die ehemalige jüdische Schule, in der christliche und jüdische Kinder gemeinsam unterrichtet worden waren - bis es schließlich verboten wurde.

Verborgenes entdecken

Neben der Schule steht ein unscheinbares kleines Gebäude, das in Wahrheit doch ein besonderes Schatzkistchen ist. Es ist eine der wenigen noch intakten Mikwen. Mikwe, das ist jenes Ritualbad, in dem sich jüdische Frauen und Männer spirituell reinigten. Wichtig war es dabei, dass die Mikwe - anders als ein reines Bad - durch "lebendiges Wasser" - beispielsweise Fließwasser gespeist wurde. Das Absinken des Grundwasserspiegels führte in Hohenems schließlich dazu, dass die Mikwe nicht mehr betrieben werden konnte. Der Abgang zum Wasser wurde verbaut, ein neuer Boden eingezogen und das einstige Bad wurde zur Wagner-Werkstatt. Bis zum Ende der 1990er Jahre geriet die Hohenemser Mikwe völlig in Vergessenheit. Erst langsam tauchte die Frage wieder auf, ob es denn in Hohenems nicht auch ein eigenes Ritualbad gegeben haben könnte. Alte Pläne des Viertels wurden studiert und alles deutete schließlich auf das Häuschen im Schulhof hin. Und tatsächlich, da waren die Stufen, die zum Wasser hinunter führten wieder, als man die ersten Bretter des Bodens gelöst hatte.

Die, die da waren

Natürlich, die Geschichte der Juden in Hohenems lässt sich nicht in 90 Minuten erzählen. So lange dauert eine Führung durch das Viertel nämlich - und es sind gut investierte 90 Minuten. Denn man sieht das Viertel, die Stadt und die Spuren der Menschen, die hier einst auch waren, danach ganz neu und ganz anders.

 

Fotocredit: Friedrich Böhringer / Wiki Commons / CC0