Am Mittwoch aßen die Delegierten der Vollversammlung der "Religions for Peace" gemeinsam mit LindauerInnen an einer langen "Tafel zwischen den Kirchen" zu Abend – redeten miteinander und lagen sich später in den Armen. Ein Beispiel für die ganze Welt?

Auf dem Platz zwischen der evangelischen St. Stephanskirche und der katholischen Kirche Unserer Lieben Frau steht eine lange Tafel. Bedeckt mit weißen Laken und Tischtüchern, dekoriert mit Äpfeln, Kerzen, einem grünen Läufer. Darauf: Essen. Pasteten, Salate, Käse, Kuchen, Obst und Brot. Vegetarisches, Veganes, manchmal Fleisch, gekocht, gebacken, verziert. Die Helfer/innen, die den kaum enden wollenden Strom aus Schüsseln, Schalen, Platten, Tellern und Körben verwalten, spielen bald Tetris: Den Teller bitte dahin, die Quiche passt da drüben noch rein.

Miteinander ins Gespräch kommen

Ein jeder bringe so viel, dass es für fünf weitere Menschen reicht, hatte es in der Einladung zur „Tafel zwischen den Kirchen“ geheißen. Sie ist Mittwochabend einer der offiziellen Treffpunkte der Lindauer Bevölkerung mit den Delegierten der Religions-for-Peace-Vollversammlung, die noch bis Freitag in der Inselhalle tagt. Einer von vielen: Wer durch die Stadt spaziert, trifft immer wieder Menschen mit den leuchtend orangen Lanyards – dem „Erkennungszeichen“ der Abgeordneten aus über hundert Ländern der Welt. Falls sie nicht ohnehin als Religionsvertreter/innen zu identifizieren sind – dank ihrer Kaftane, Kippas, Kopftücher, Roben, Kollare, Turbane, Schleier. Manche von ihnen werden angehalten: Wer sind Sie, woher kommen Sie, dürfen wir ein Foto mit Ihnen machen?

Dr. Tarunjit Singh Butalia„Ich bin überwältigt, wie freundlich hier alle sind“, sagt Dr. Tarunjit Singh Butalia, mit dem ich später an einem der Biertische sitze, die auf dem Kirchplatz um die lange Tafel herum aufgestellt sind. Dank seines gelben Dastars, der traditionellen Kopfbedeckung männlicher Sikhs, könnte er zu denen gehören, die angesprochen werden. „Überall wird gelächelt – ich liebe das!“

Essen, das verbindet

Die lange Tafel komme ihm bekannt vor, denn bei den Sikhs habe jeder Gottesdienst mit einem Langar zu enden, dem gemeinsamen Mahl. „Das scheint hier ein Langar zwischen den beiden Kirchen zu sein“, sagt er und lacht. Imam Naeem Baig, der ihm gegenüber sitzt, nickt. Auch im Islam sei das gemeinsame Essen enorm wichtig – von Anbeginn an: „Als Prophet Mohammed die Offenbarungen empfing, entschloss er sich, sie bei einem Abendessen an die Gemeinschaftsvorsteher weiterzugeben“, erklärt er. „Die Einladung zum Essen an andere ist eine Ehre – und wir fühlen uns geehrt, von der Lindauer Bevölkerung eingeladen worden zu sein.“

Winfried Schlegel, KirchenpflegerMit der Idee zu dieser Tafel sei Wolfgang Schürer, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und der Zivilgesellschaft, die in Lindau für die Durchführung der Konferenz verantwortlich ist, im April an die beiden christlichen Inselgemeinden herangetreten, erzählt Winfried Schlegel. Als Kirchenpfleger im Münster Unserer Lieben Frau legt er zwei Stunden vor Beginn des Abends mit Freiwilligen letzte Hand an Tische und Dekoration. „Wir haben dann auch die muslimische Gemeinde ins Boot geholt und sind gemeinsam in die Planung eingestiegen.“ Als Basisversorgung dienen Brötchen und erntefrische Äpfel, und bei Besteck und Tellern habe man sich für umweltfreundliche Materialien entschieden, so Schlegel.

Welche Zukunft wollen wir?

Imam Naeem BaigNachhaltigkeit bzw. der bewusste Umgang mit Ressourcen ist auch eins der großen Themen der Konferenz – nicht zuletzt weil Verteilungskonflikte potentielle Kriegs- und Fluchtursachen sind, für deren Vermeidung sich die Organisation Religions for Peace seit ihrer Gründung 1970 einsetzt. „Das ist auch eine Generationenfrage“, sagt Naeem. Ein Kerngedanke der interkonfessionellen Zusammenarbeit sei es, die Welt zu einem lebenswerten Ort für die nachfolgenden Generationen zu machen. „Menschen kommen auf diese Welt und Menschen verlassen sie. Aber was bleibt von uns?“, fragt er: „Eine Welt in Trümmern oder eine in Frieden?“

Junge RfP-Delegierte„Ganz schön viel Verantwortung!“ findet eine junge Libanesin, die ich frage, was sie von der Konferenz mitnimmt. Ihre Kollegin, ebenfalls eine der Jung-Delegierten aus Indonesien, nickt: „Wir müssen aktiv werden – und zwar auch, wenn es noch keine entsprechenden Regierungserklärungen oder dergleichen gibt. Das ist es, was wir Jungen besonders gut können und tun sollten – jetzt!“

Neue Brüder, neue Schwestern

Lyannaia MainDer Abend in Lindau ist eine perfekte Gelegenheit dazu: Die Menschen an den langen Tischen und in der noch längeren Schlange zum Buffet kommen miteinander ins Gespräch. Manche liegen sich hinterher in den Armen. Auch die Amerikanerin Lynnaia Main von der Episkopalkirche hat schon Freundschaft mit zwei Lindauerinnen geschlossen – und übt mit mir den Satz „Danke für Ihre Gastfreundlichkeit“ auf Deutsch. „Das Brot zu brechen und gemeinsam zu essen bedeutet in der christlichen Tradition auch, Fremde willkommen zu heißen und ihnen mit Fürsorge und Respekt zu begegnen“, sagt sie. „Ich bin fremd hier – und habe neue Brüder und Schwestern gefunden.“

Die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ hat sich exakt einen Monat vor dem Dinner auf dem Kirchplatz mit dem Wert und gemeinschaftsstiftenden Potential von Mahlzeiten beschäftigt. „Das gemeinsame Mahl vermag, was ein Gespräch allein oft nicht erreicht: Vertrauen schaffen, Frieden stiften“, schreiben die Autoren Harro Albrecht, Stefanie Kara und Caterina Lobenstein. Das habe teilweise ganz profane, weil biochemische Gründe: Menschen, die in Gesellschaft von anderen essen, seien entspannter, als die, die dies allein im stillen Kämmerlein tun, fand etwa der Psychologe Werner Sommer heraus. Ein Ergebnis, das auch die evolutionäre Anthropologie bestätigt: Wenn Tiere wie Menschenaffen ihr Futter mit anderen teilen, steige der Oxytocin-Spiegel in ihrem Blut stark an – also die Konzentration des gemeinhin als Bindungs- oder Kuschelhormon bekannten Botenstoffs. Das gemeinsame Essen, wird Kulturwissenschaftlerin Iris Därmann zitiert, sei auch darum sozialitätsstiftend.
In Lindau an diesem Abend ist man versucht zu sagen: Quod erat demonstrandum. Ein Tisch, etwas zu essen – und die Einladung an alle, teilzunehmen. Kann das mit dem Frieden wirklich so einfach sein?

Homi D. SinghPS: Ach ja, und ganz nebenbei lerne ich noch eine neue, uralte Religion kennen: Homdi D. Gandhi, der mit Tarunjit und Naeem am Tisch sitzt, ist Zoroastrier, also Anhänger des Zoroastrismus, der auf Zarathustra zurückgeht (ja, genau den) und um den Schöpfergott Ahura Mazda kreist. Hierzulande ist diese Glaubensrichtung kaum verbreitet, in den USA, wo er Vorsitzender der Vereinigung zorastrischer Gemeinschaften Nordamerikas ist, sowie in Indien und im Iran aber schon.